Integrative Gestaltsupervision - Theorie, Methode, Haltung
1. Gestaltsupervision trägt ihren Namen nach der Gestaltpsychologie, die sich damit beschäftigt, wie wir beim Wahrnehmen Wirklichkeit konstruieren. Die Gestaltpsychologie geht von dem ganzheitlichen Ansatz aus, dass wir Wahrgenommenes auf eine für uns sinnvolle Weise organisieren und strukturieren. Die Gestaltsupervision beschäftigt sich mit Problemen der Wahrnehmung, ihr geht es um die Wahrnehmungsfähigkeit und deren Verbesserung. Probleme der Wahrnehmung können z.B. auftreten, wenn das aktuell Wahrzunehmende von vorher gemachten Erfahrungen überlagert wird. Dann wird nämlich nicht mehr wahrgenommen, was da ist, sondern eher, was wir hoffen oder was wir befürchten. Das in der Vergangenheit Erfahrene oder „Gelernte“ wird auf das Gegenwärtige projiziert.
Zwei einfache Beispiele für solche Projektionen:
2. Gestaltsupervision unterstützt den Entwicklungsprozess der Teilnehmer durch
Würdigung:
Der Klient kommt zum Supervisor, weil er den Eindruck hat, mit einem Lebensproblem nicht mehr allein fertig zu werden.
Der Supervisor lässt ihn erleben, dass er selbst in Wirklichkeit über enorme Kräfte verfügt, die ihm das Überleben ermöglichen.
Durch die Würdigung dieser Kräfte kommt der Klient in Kontakt mit seiner Fähigkeit, Lösungen seines Problems für sich zu finden.
Die heutigen Probleme sind häufig das Ergebnis von früheren Problemlösungsversuchen. Sie waren damals sinnvoll.
Doch heute schränken sie eher ein.
Würdigung heißt also, dem Klienten spürbar werden zu lassen, welche Kraft in genau dem Verhalten liegt, das der Klient als „Problem“ sieht. Durch diese Haltung der Würdigung kommt der Klient in
Kontakt mit seiner Fähigkeit, Problemlösungen für sich selbst zu finden.
3. Der Supervisor unterstützt die Klienten darin, ihre eigene „organismische Selbstregulation“ wieder in Gang zu bringen.
Damit ist die bei jedem vorhandene Fähigkeit gemeint, seine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und die notwendigen Schritte einzuleiten, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn die Bedürfnisbefriedigung
klappt, schenken wir der organismischen Selbstregulation keine weitere Beachtung, vielmehr nur, wenn sie nicht klappt. Das geschieht leider relativ häufig. Denn in unserer Kultur haben wir
nicht gelernt, auf unsere eigentlichen Bedürfnisse zu achten, sondern eher, sie nicht wahr zunehmen. Und bei dem, was wir tun, orientieren wir uns allzuoft nicht an dem, was wir selbst
wollen, sondern daran, was andere von außen an uns herantragen. Die Wiederherstellung der organismischen Selbstregulation gelingt nur, wenn der Supervisor seine Klientinnen und Klienten auf dem Weg
dorthin bereits als mündige Subjekte ansieht. Das ist das Paradox der „vorgeschossenen Mündigkeit“: Der Supervisor behandelt dabei auch jene Klientinnen und Klienten als mündig, die
ihre eigene Mündigkeit noch nicht fest in ihren Besitz genommen haben. Dabei wird der Gestaltsupervisor eine Vielzahl von Methoden so anwenden, wie es der Persönlichkeit des Klienten und seiner
eigenen Persönlichkeit entspricht – Gespräche, Gewahrseinsübungen, Arbeit mit inneren Dialogen, Rollenspiele, Dialoge mit abwesenden Personen, körperorientierte Interventionen und kreative
Ausdrucksmittel wie Ton, Papier und Farbe etc.
4. „Veränderung (Entwicklungsprozess) geschieht, wenn jemand wird, was er ist, nicht wenn er versucht, etwas zu werden, das er nicht ist.“ Arnold R. Beisser,
der diesen Satz in einem Beitrag zur Gestalttherapie schrieb, hatte an der Stanford Universität Medizin studiert und gerade die nationalen Tennismeisterschaften gewonnen, als er im Alter von 25
Jahren an Kinderlähmung erkrankte und fast vollständig gelähmt wurde. In seinem Buch schildert Beisser eindrucksvoll seine Versuche, mit diesem radikalen Einschnitt in sein Leben fertig zu werden.
„Veränderung“, so der Gestalttherapeut Beisser, „findet statt, wenn man sich die Zeit nimmt und die Mühe macht, sich voll und ganz auf sein gegenwärtiges Sein einzulassen.“
5. Haltung (Miriam und Erving Polster: Gestalttherapie: Theorie und Praxis der integrativen Gestalttherapie): Wohlwollen und Achtung des
Supervisors sind es, die es den KlientInnen in der Gestaltsupervision ermöglichen, sich angstfrei zu öffnen und so neue bereichernde Erfahrungen zu machen.
Aus dem Vorwort von: Milton M. Berger, M. D., Director of Education and Training South Beach Psychiatric Center, New York:
„In unserer Gesellschaft wird zur Zeit der Kampf zwischen den Kräften der Menschlichkeit und denjenigen der Entfremdung und Enthumanisierung ausgetragen. Ein wichtiger Faktor in diesem Kampf
ist die Gestalttherapie (entsprechend: -supervision), die die Entwicklung der Persönlichkeit auf zwei verschiedenen Wegen zu erreichen sucht: Einmal dadurch, dass sich der Mensch von
psychopathologischen unerledigten Situationen befreit, und zum anderen dadurch, dass sie als Katalysator und Stütze des unentwickelten und noch nicht bewusst gewordenen menschlichen Potentials
dient.